„Mama! Bitte, keine Abkürzung mehr; und keine Fotos!“ tönt es jammervoll aus dem hinteren Teil des Autos. Das ist mein Sohn, dem der dritte Fotostop an einem halb verfallenen Gebäude von historischem Wert im apulischen Hinterland langsam die Geduld raubt. Doch wir sind zeitig losgefahren und können erst um 16 Uhr in die gebuchte Masseria einchecken, die Freunde für uns ausgesucht haben. Also viel Zeit, um kleinen, braunen Ausschilderungen zu folgen und auf unglaublich löchrigen Sandwegen durch die Pampa zu fahren.



Schon einmal waren wir hier zwischen Giovinazzo und Terlizzi unterwegs und folgten dem Pfad für ländliche Kirchen. Diese Mal weckten mit „Torre“ oder „Casino“ beworbene Gebäude auf dem „Percorso delle Piante e dei Fiori“ meine Neugier. Natürlich war klar, das ein „Casino“ hier nichts mit Glücksspiel sondern eher mit einem kleinen Haus zu tun hat, aber wer kann beispielsweise einem klangvollen „Donnerturm“ (Torre del Tuono) widerstehen? An dem kleinen festungsähnlichen Haus mit Turm und Kirchlein donnert jedoch heute nichts mehr. Irgendwie restauriert aber einsam steht es inmitten von Olivenhainen. Die leeren Fensteraugen der Stallgebäude schauen auf staubtrockene Erde. Das Unkraut drumherum hat aus Mitleid die gelbbraune Farbe der Steine angenommen. Eine dicke Eisenkette am Tor hindert am eigenmächtigen Vordringen ins Innere der hohen Mauern mit Ursprung im 13. Jahrhundert. Ach, wie schade, denn irgendwie lässt die unverputzte Fassade ahnen, welche Kunstfertigkeit das Aufschichten dieser Mauern den Handwerkern im 17. Jahrhundert abverlangte! Aber gut, nach ein paar Hundert Metern auf der Straße nach Terlizzi verführt schon wieder ein Schild zu waghalsigen Manövern auf engen Wegen die Ausweichen nur schwer möglich machen. Immerhin gibt es hier Gegenverkehr, vor dem man Angst haben kann, und man muss nciht befürchten, dass die eigenen Knochen bei einem Liegenbleiben im Hinterland für immer in der Sonne bleichen.

Vom „Torre Del Alfiere“ aus dem 16. bis 18. Jahrhundert stehen gerade noch die 3 Grundmauern und im ersten Stock. wo er noch nicht eingefallen ist, recken sich Sträucher in den strahlend blauen Sommerhimmel. Ringsherum muss es erst kürzlich gebrannt haben. Das könnte an dem abgelegten Müll am Wegesrand gelegen haben, aber das ist nur eine Vermutung. Ich weiß auch nicht, warum mich solche Ruinen anziehen. Vielleicht ist mir beim Schnüffeln zwischen Trümmern irgendwann mal ein Stein auf den Kopf gefallen und das ist nun das Resultat. Wie schön, dass am Torre gleich ein Wegweiser das nächste „Highlight“ zeigt, welches in ein paar Jahren vielleicht ebenfalls nicht mehr zu fotografieren sein wird – das „Casino Villafranca“.

Als der Weg zu schlecht wird, lasse ich den Fiat unter ein paar Olivenbäumen stehen und ihn zusammen mit meiner Familie dort zurück. Die haben alle schon genug und nicht nur mein Sohn jammert, dass er endlich auf einer richtigen Straße dem Ziel entgegen fahren will. Ich verspreche, gleich wieder da zu sein und finde nach einer Kurve und einem riesigen Feigenbaum am Ende eines ausgewaschenen Schotterweges ein ebenfalls stark verfallenes Gebäude, welches das ausgeschilderte Häuschen sein könnte. Sicher bin ich mir nicht. Aber da ich zwei riesige Hunde mit aufgestelltem Kragenfell aus dem Schlaf im Schatten der Mauer aufscheuche, lasse ich das Grübeln und verweile nicht all zulange. Erstmal sind sie bellend weggerannt, aber sie könnten auch jederzeit wiederkommen und mich verschlingen. Auf dem Rückweg pflücke ich jedoch so viele dicke, süße und unglaublich saftige Feigen, wie ich tragen kann. Zur Not hätte ich sie auf die Hunde der Baskervilles werfen können, doch die kommen glücklicherweise nicht wieder. Und so versöhne ich mit den Feigen die Mehrheit der auf mich wartenden Autoinsassen.
Trotzdem tönt es am Ende „Mama! Bitte, keine Abkürzung mehr und keine Fotos!“ , während ich elegant einen Olivenbaum umkurve, ohne im Treibsand stecken zu bleiben, und uns auf den schmalen Weg zurück zur Landstraße fahre. Na, gut… das ist nicht unser endgültiges Ziel, aber zwei von uns haben Kaffeedurst und so ist eine Bar in Terlizzi unser nächste Stop– gern mit allen Wänden und mit Dach.
Nur eine Frage bleibt noch zu beantworten: Kann mir mal jemand erklären, was halbverfallene Gebäude und Müll am Straßenrand mit einem „Pflanzen- und Blumenweg“ (Percorso delle Piante e dei Fiori) zu tun haben?

so erfrischend deine Schilderung, als ob ich dabei gewesen wäre, gerne gelesen, mir gefällt diese Baukunst aus Steinen, alt kann auch als schön empfunden werden.
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Du hast recht. Es ist schön, irgendwie faszinierend, wie das schon vor Jahrhunderten aufgeschichtet wurde.
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Steine altes Gestein, Gemäuer faszinieren mich- und besitzen einen hohen Wert —-für mich
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Ich finde, sie erden, während moderne Gebäude eher in den Himmel streben wollen. 🙂
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Dank Deiner Schilderung konnte ich mit die Situation perfekt vorstellen und ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Liebe Grüße, Barbara
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Dass man mit sowas den jüngeren Mitmenschen die Nerven rauben kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber es sind soo schöne Fotos entstanden. Herzlichen Dank 🙂
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Noch hat er keine andere Wahl. 😉
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Wichtig ist unseren italienischen Freunden das eigene Heim. Wie es draußen vor der Haustüre aussieht? Egal, dass kümmert sie nicht. Deswegen kann ich deinen tollen Bericht auch so gut verstehen.
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Da hast du absolut recht. Das Konzept eines Gemeineigentums, das man, weil es auch dem eigenen Auge schmeichelt, leicht sauber halten könnte, ist noch nicht bis hierher vorgedrungen.
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Liebe Corinna,
also von einer halbverfallenen Mauer zur anderen zu fahren und dort noch zu fotografieren, würde uns auch nerven. Wir können deinen Sohn bestens verstehen.
Aber die südlichen Länder sind eh nicht Ziele, wohin wir fahren würden.
Wir wünschen ein angenehmes Wochenende
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
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Jeder wie er mag. Ich hätte gern noch mehr fotografiert. 🙂
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Noch heute werden mir die nie gesehenen, die Nurhagen vorgeworfen. Einst auf Sardinien wollte ich (wie überall die Überreste einstiger Kultur) diese alten Bauwerke bewundern. Und meine lustlose Mannschaft, Schulkinder sind grundsätzlich an Kultur eher weniger interessiert, das hat so diesen faden Geschmack von eben dem, Schule, machte nur zu bald schlapp. Es war aber auch heiß… Nein, ich habe bis heute keine gesehen. Faule Bande! Aber sie machen mir den trockenen, heißen, weiten Weg zum Vorwurf. Pah!
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Ja, von Schülern kennt man das. Aber es ist auch wirklich merkwürdig, dass sich solche historischen Stätten derart verstecken können. Um den Dolmen von Bisceglie zu finden, brauchte ich damals auch zwei Anläufe und eine Freundin mit gutem Navi auf dem Handy.
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