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Taranto – Vom Pakt mit dem Teufel und wie man ihn wieder los wird

Der Charme Tarantos erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick und die Stadt selbst ist auf der To-do-Liste eines Apulienbesuchers wohl gar nicht oder nur ganz, ganz unten zu finden. Nicht völlig zu Unrecht, denn, wer mit dem Auto kommt, wird von einem rostigen Industrieviertel mit Bauruinen begrüßt, bevor er in die breiten Straßen der Neustadt von Taranto einfährt. In dem wichtigen italienischen Marinestützpunkt haben zuerst ein Industriehafen, das Militär und vor 40 Jahren schließlich ein Stahlkonzern mit dem Werk Ilva nicht nur Arbeit und Wohlstand in die Stadt gebracht, sondern auch Umweltverschmutzung und Krebskrankheiten.

Taranto tramonto
Sonnenuntergang über dem Industriehafen

Schon immer hatte ich, die ich vom Osten Deutschlands in den Süden Apuliens eingewandert bin, den Eindruck vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Aber wenn man dann noch aus der Nähe Eisenhüttenstadts kommt, einer Stadt, welche in der DDR um ein riesiges Hütten- und später auch Stahlwerk herum gebaut wurde, wo es dadurch zwar viel Arbeit, aber auch viele Atemwegs- und Krebserkrankungen gab und gibt, ist die Gemeinsamkeit noch größer. Darüber allein könnte man einen ganzen Blogartikel schreiben. Auch darüber, was passierte, als das Werk nach der Wende modernisiert wurde und die Umweltverschmutzung aber auch der Arbeitskräftebedarf zurückgingen. Doch müßig: Was nutzt es, wenn man Arbeit hat, dafür aber mit 50 Jahren an Lungenkrebs stirbt?

Auch in Taranto steht das Werk seit Jahrzehnten immer wieder kurz vor der Schließung. Inzwischen wird dort nicht mehr viel gearbeitet, doch die verblieben Mitarbeiter kämpfen hartnäckig gegen eine komplette Schließung, da es sonst wenige Arbeitsalternativen gibt. So, versucht man in ganz Italien die Augen davor zu verschließen, dass man mit der Metallindustrie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Etwas Hoffnung kam auf, als Arcelor Mittal, die übrigens auch das Werk in Eisenhüttenstadt betreibt, 2018 das Werk kaufte und Modernisierungen versprach. Sogar eine Amnestie für mögliche Verbrechen an der Umwelt während des Weiterbetriebs hatte man zugestanden. Doch passiert ist wenig, stattdessen hat Arcelor das Werk ab 2019 Schritt für Schritt heruntergefahren und wollte sich zurückziehen, bis sich zuletzt der Staat wieder einkaufte und das Werk nun zusammen mit Arcelor betreibt. Schauen wir mal, was passiert. Unmöglich ist es nicht, ein Stahlwerk zu modernisieren, Produktionsanlagen zu erneuern, Filter einzubauen etc.. Um Eisenhüttenstadt ist wieder alles grün und die Gewässer sauber. Die Frage ist nur, ob es sich in Taranto noch lohnt ein Stahlwerk zu modernisieren, oder ob man nicht besser komplett auf andere Konzepte umschwenkt.

Taranto Duomo
Dom in der Altstadt von Taranto

Ganz deutlich wird der Investitionsbedarf nämlich auch, wenn man sich die Altstadt von Taranto ansieht. Die Bausubstanz ist marode und blickt man in die Nebenstraßen der für Touristen teilweise hergerichteten Straße, die zum Dom führt, sieht man zahlreiche Gebäude, die von Stahlträgern gestützt werden, damit sie nicht zusammenbrechen. Auch von der Seite des „kleinen Meeres“ macht die Altstadt mit Leerstand, blätternden Fassaden und blinden Fensteraugen keinen einladenden Eindruck. Hier hat man während des ökonomischen Booms zu Gunsten neu errichteter, moderner Stadtteile alles leer gezogen und damit das historische Taranto auf seiner Insel zwischen den zwei Meeren dem Verfall preisgegeben.

Ich denke, es wird schwer sein, in einer sterbenden Stadt Investoren zu finden, die bereit sind Geld in die riesigen Palazzi der Altstadt zu investieren, wenn gleich hinter der Brücke eine weite Prachtstraße mit unzähligen Läden, Caffès und Parkmöglichkeiten zum Bummeln einlädt. Aber ein Anfang ist gemacht, denn in der Straße zum Dom findet man ein paar kleine Souvenirläden und Restaurants. Einen großen Palazzo haben die Carabinieri wieder aufgebaut und das Übersiedeln von weiteren Institutionen könnte auch Teil der Lösung für wichtige Altstadtgebäude sein. Jedenfalls sind hier die Stadtplaner und die Verwaltung gefragt,sonst bleibt Taranto nur etwas für Neugierige und Optimisten, die in einem problematischen Industriestandort ein Stück Heimat entdecken.

Die zweite Frage ist also, warum man nicht nach Alternativen sucht und andere Unternehmen vor allem im Bereich Tourismus stärker fördert, denn tatsächlich gibt es in und um Taranto auch lupenreines, azurblaues Wasser, in dem sich neben den Badetouristen sogar Delfine tummeln. Und die Stadt ist berühmt für ihre leckeren Muscheln, die hier deshalb so gut gedeihen und einen hervorragenden Geschmack haben, weil viel Süßwasser ins Meer fließt. Da haben die Modernisierungsmaßnahmen sowie das gewachsene Umweltbewusstsein wohl schon Früchte getragen. Für Taranto und seine Einwohner will ich es hoffen. Die Delfine habe ich jedenfalls mit eigenen Augen gesehen, als eine liebe Freundin uns im Juli zum Bootfahren eingeladen hatte.

Taranto Insel wie in der Südsee

Sie zeigte uns auch geheimnisvolle Inseln, die der Marine gehören, mit Badebuchten, wie man sie eher in der Südsee vermutet. Und obwohl man Taranto in der Ferne noch als dünnen Streifen am Horizont sehen konnte, waren Ilva, Schiffswerften und Großstadtlärm weit, weit weg. Dadurch verbrachten wir einen wunderbaren Tag auf und im Wasser und bekamen einen ganz anderen Eindruck als den eines Autofahrers. Supernette Gastgeber, strahlender Sonnenschein, hervorragendes Essen, zirpende Grillen auf einer Insel, von welcher der Wind den Duft trockenen Grases herüberwehte, und glasklares Wasser… Dieser Ausflug in einem Kajütboot der Hautevolee ließ unseren Sohn nicht nur selig seufzen, dass er hier nie wieder weg wolle, sondern festigte auch unseren Wunsch im September noch einmal nach Taranto zu kommen, um das Schloss und das überregional bekannte Museum MARTA zu besuchen. Die Stadt nur auf ihre Wirtschaftsgeschichte zu reduzieren, erschien an diesem Tag definitiv zu einseitig.

Taranto Strand vom Wasser aus