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Krisenzeichen

Das Leben mit unterschiedlichen Arbeitgebern ist zugegebener Maßen etwas stressig. Lehrern erzähle ich damit sicherlich nichts Neues, aber jede Stunde, die man halten möchte, muss auch irgendwann vorbereitet werden, und statt EINES Arbeitswegs hat man plötzlich vier; wobei die Zeit, die man für den Wechsel des Arbeitsortes benötigt, Privatvergnügen ist. Dazu kommt bei mir noch eine äußerst varibable Vergütung von überwiegend „geht gerade noch so“ bis seltenst „Wow!“. Das sichert zwar das Überleben, lässt jedoch keinen Raum für große Sprünge.

Glücklicherweise habe ich als Ex-DDR-Kind einen unschlagbaren Vorteil in meinem Leben und zwar den, nie in einer Überflussgesellschaft gelebt zu haben. Was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen. „Stell‘ dir vor!“, erzählte ich Luigi gestern von meiner Beobachtung im Supermarkt, „Da waren tatsächlich Leute, die ihren Wagen komplett voll geladen hatten – mit Berg! So zehn tüten Pasta oben drauf und mindestens 10 Packete Kekse!“ „Das ist doch noch gar nichts!“, entgegnete er mir. „Du hättest mal in den 80er und frühen 90er Jahren hier sein sollen, als es noch keine Krise gab. Da haben beide Ehepartner jeweils einen so vollen Wagen geschoben.“

Ja, die Krise. Viele Süditaliener kommen im Moment überhaupt nur bis ans Monatsende, weil Wohnungen noch überwiegend Privateigentum sind und somit die Miete wegfällt. Dem milden Winter verdanken wir moderate Heizkosten. Außerdem ist die Lebenserwartung hoch und die Alten erfreuen sich überwiegend guter Gesundheit, so dass an jedem Rentner mindestens noch eine oder zwei Familien hängen können, die mitversorgt werden – und sei es nur, indem sich die ganze Familie bei Oma zum Mittagessen trifft und die nachmittägliche Enkelbetreuung von den Großeltern oder alten Tanten übernommen wird, damit die Kinder einer Arbeit nachgehen können; wobei das nicht heißen muss, dass diese Arbeit gut bezahlt oder gar offiziell geleistet wird.

Vor ein paar Tagen las ich eine Anzeige, in der jemand eine Betreuung für den alten Vater suchte: Kost, Logis und den Sonntag frei, Arbeitszeit von 7 bis 19 Uhr, kochen, putzen, waschen, Gesellschaft leisten – 450 Euro im Monat. Tatsächlich wurden solche Jobs bis vor ein paar Jahren noch überwiegend von Migrantinnen übernommen, die mit diesem Geld ihre Familie im Heimatland versorgen konnten. In den Nachrichten wurde am gleichen Tag verkündet, dass immer mehr italienische Hausfrauen statt sich länger dem Haushalt hinzugeben in den Beruf zurückkehren; zum Beispiel als Putzfrauen oder in der Alten- sowie Krankenbetreuung. Der Bericht klang ungemein frohlockend – „Doppeldenk“ lässt grüßen! 

Andere italienische Frauen wiederum vergnügen sich trotz der Krise den ganzen Tag lang mit häuslichen Tätigkeiten, so wie unsere Nachbarin, für die es keine größere Wonne zu geben scheint, als dem Brummen ihrer Waschmaschine zu lauschen und die Wäscheleine mit langen Unterhosen sowie neonfarbenen Handtüchern zu bestücken. „Mach‘ doch auch mal was dreckig!“, pflaumte ich gestern erst Luigi an. „Wir müssen Wäsche raushängen. Sonst denken die noch, dass wir Schweine wären.“ Darauf hin bekleckerte er sich, möglicherweise auch unabsichtlich, mit Schokoladeneis. Das Wäscheproblem löste er damit jedoch nicht, denn für eine Ladung Helles  reichte es trotz seines schokofleckigen T-Shirts nicht. Ich schlug also hausfrauentechnisch zurück, indem ich noch nach meinem Nachmittagsunterricht, also abends um sieben, alle Fenster putzte und dabei laute Musik abspielte, damit die Putzattacke auch sicher von der ganzen Umgebung wahrgenommen wurde.

Nächstes Wochenende werde ich die Betten abziehen und dann dürfte es sogar für zwei Waschmaschinenladungen reichen!