Archiv für den Monat April 2025

Von Schluchten, James Bond und anderen komischen Vögeln

Wenn man an Süditalien, Schluchten und Höhlenwohnungen denkt, dann fällt einem bestimmt zuerst die Stadt Matera ein, deren „Sassi“ seit 1996 zum Weltkulturerbe gehören. Aber nein, dieser Bericht handelt nicht von Matera, denn noch in der Region Apulien und mit nur einer Stunde Fahrzeit auch näher an Bari gelegen, befindet sich die Stadt Gravina, deren erste Bewohner ebenfalls eine günstig gelegene Karststeinschlucht für ihre Höhlenwohnungen nutzten.

Zur Zeit des griechischen Großreichs gegründet, teilt die kleine Stadt im Hinterland die gleiche wechselvolle Geschichte wie die meisten süditalienischen Orte: Römer, Byzantiner, Langobarden, nordafrikanische Herrscher, Normannen sowie die französischen Anjou gaben sich hier die Klinke in die Hand. Und im 18. Jahrhundert erblickte sogar ein Papst (Benedikt XIII. ) hier das Licht der Welt.

Wer den Film zu Jan Weilers gleichnamigem und absolut witzigem Roman „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ gesehen hat, hat einen kleinen Eindruck vom verschlafenen Städtchen im Nationalpark Murgia bekommen, obwohl Gravina darin unter dem Namen „Campobello“ läuft. Was die Graviner jedoch wirklich ärgert, ist der Fakt, dass man im Abspann des 2019 gedrehten 007 „Keine Zeit zu sterben“ die inzwischen wohl wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt, ihre römische Brücke der wenig geliebten Schwester „Matera“ zugeordnet hat. Dabei hat sich James Bond doch auf eben diesem Aquädukt eine der spektakulärsten Verfolgungsjagden des Films geliefert. Dieser Enttäuschung ungeachtet, hat die damit zusammenhängende Aufmerksamkeit immerhin dazu geführt, dass man das einzigartige Monument inzwischen umfassend restauriert und mit einer Beleuchtungsanlage versehen hat.

Darüber hinaus hat wie in ganz Apulien auch in Gravina die Tonpfeifenherstellung eine lange Tradition. Deshalb wollten wir vor ein paar Wochen nicht nur die filmreife Aquädukt-Brücke, sondern auch das kleine Museum der „Cola Cola“ ansehen, wie man die Vogelpfeifen hier zur allgemeinen Verwirrung nicht Einheimischer nennt. „Còula còule“ bedeutet im Dialekt der Stadt nämlich „Elster“ und Elstern haben wir auch tatsächlich an der Schlucht des Flüsschens Gravina beobachten können. Ob Elster oder nicht, mit dem coffeinhaltigen Süßgetränkt hat die apulische Cola jedenfalls nichts zu tun.

Warum die gravinerischen Pfeifen- „Elstern“ dann allerdings der typisch apulischen Pfeife in Form eines Hahns zum Verwechseln ähnlich sehen, das wissen wohl nur die Vorfahren und vielleicht das riesige Exemplar, welches die Besucher bereits am Ortseingang auf das merkwürdige „Wappentier“ der Stadt aufmerksam macht. Aber ehrlich, man muss auch nicht alles verstehen und manches einfach nur akzeptieren.

Wir waren also neugierig auf das „Casa della Cola Cola“ direkt gegenüber der Kathedrale von Gravina und trafen bereits vor der Tür auf die Verkaufsstände der fleißigen Töpferfamilie Loglisci. Bereits in fünfter Generation stellen sie die typischen Vogelpfeifen her, die mit ihrer Bemalung mit blauen, gelben, roten und grünen Streifen die satten Farben des apulischen Frühlings aufnehmen, wobei das Blau für den Himmel, das Grün für die bestellten Felder, das Rot für den blühenden Mohn und das gelb für die leuchtenden Weizenfelder stehen.

Das Haus der Großeltern unseres Führers Marco dient heute als Werkstatt. Ist man die lange, schmale Stiege zum ersten Stock hinauf gekraxelt, taucht man in ein buntes Reich ein, dessen Luft von feuchtem Ton und Farbgeruch geschwängert ist. Während die Schlafzimmereinrichtung mit Waschschüssel und Nachttopf noch an das neunzehnte Jahrhundert erinnert, dienen die anderen Räume einer Ausstellung und als Werkstatt. In der letzteren sieht man die grauen, zum Trocknen aufgestellten Exemplare, während im Ausstellungsraum alles fröhlich bunt daher kommt. Ganz deutlich wird dabei, dass sich Form und Muster der Pfeifen nun bereits über Jahrhunderte erhalten haben.

Besonders interessant ist die Hochzeits-Cola-Cola, welche der Braut als repräsentatives Geschenk überreicht und über ihre generellen Bedeutung als Symbol von Fruchtbarkeit und Wohlstand hinaus mit weiteren individuellen Symbolen für die Familie versehen wurde. Die Cola-Cola fungierte außerdem als Stammbaum und auch das historische Exemplar von Marcos Großeltern, welches inzwischen fast hundert Jahre alt ist, wird hier als Familienerinnerung stolz aufbewahrt.

Doch natürlich sind die letzten Jahrzehnte auch an der Pfeifenherstellung der Familie Loglisci nicht spurlos vorbeigegangen. So haben sich traditionelle Formen weiterentwickelt und ein typisches Mobile fürs Babybett ist zum Beispiel zum Lampenschirm geworden. Die vogelförmige Pfeife, die traditionell von Kindern um den Hals getragen wurde, hat eine Version mit Standfuß bekommen. Außerdem gibt es Weihnachtskrippen und Baumschmuck in einem etwas aktuellerem Look und unserem Sohn Davide, seines Zeichens ein großer Katzenfan, hatten es besonders die an einem Seil kletternden Tonkatzen angetan.

Was den Besuch des Hauses aber so einzigartig gemacht hat, war die Begeisterung Marcos für seine Arbeit und seine Familiengeschichte. Zugute kam ihm auch, dass er bestens mit Kindern umgehen kann. Er hat Davide und seine Freundin Laura jedenfalls sofort in Gespräche verwickelt und immer wieder zum Staunen gebracht. Je mehr er erzählte, ein desto besseres Gefühl bekamen wir dafür, wie viel Geduld es erfordert, diese kleinen und großen Kunstwerke herzustellen. Zurecht befinden sich die Pfeifen der Familie Loglisci heute unter anderem im Nationalmuseum für Volkskunst in Rom.

Der Besuch des Hauses der Cola-Cola kostet für Erwachsenen 2,50 Euro und dauert nicht ganz eine Stunde. Er ist also für Kinder und einen kurzen Aufenthalt in Gravina perfekt. Ganz nebenbei kommt man dem Leben und den Traditionen der seit Generationen fest verwurzelten Bewohner Apuliens noch ein Stückchen näher. Wir können dieses kleine Museum also nur weiterempfehlen!